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Der Elberfelder Arzt Dr. Heinrich Singer wurde am 20. Juli 1933 vom Wuppertaler Landgericht wegen unzüchtiger Handlungen an einem 13-jährigen Patienten nach § 176 Ziff. 3 Strafgesetzbuch zu 1 Jahr und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Nach der Ablehnung der Revision beim Reichsgericht in Leipzig verlegte man ihn im November 1933 in das Zuchthaus Münster, wo der schwer herzkranke und haftunfähige Mann am 17. Dezember starb. Seine Söhne Hans Wolfgang und Walter Singer kämpften bis 1966 vergeblich um die juristische Rehabilitierung ihres Vaters. Die beiden Brüder hatten nach dem Kriege keine familiären oder freundschaft- liche Beziehungen zu ihrer Geburtsstadt. 1982 nahm der Wuppertaler Historiker Ulrich Föhse Kontakt zu Hans Wolfgang Singer auf und führte mit ihm ein Interview in Brighton. Singer verwies in seinem bis Ende 1987 dauernden Briefwechsel mit Föhse immer wieder auf das Schicksal seines Vaters. In seinem letzten Brief an Föhse schrieb er: »Nach meiner Meinung sollte der Fall meines Vaters nicht so sehr als eine legale Angelegenheit (obwohl es das auch ist), sondern als eine moralische und politische Frage betrachtet werden. Ich kann mir einfach nicht denken, dass eine einfache Rehabilitierungser- klärung oder Erklärung des ›Urteils‹ als ›null und nichtig‹ irgendwelche Schwierigkeiten bereiten könnte. Er wäre eine einfache Distanzierung von den Verbrechen der Nazi-Zeit. Da sie nur symbolische Bedeu- tung haben kann, macht es von mir aus keinen Unterschied, von wo aus und von welcher Form sie erfolgt. (…) Aber nach unserem Tele- fon-Gespräch scheinen sie mehr einen legalen Approach [Ansatz] im Sinne zu haben, und ich folge natürlich ihrem Urteil. Ich kann nur wiederholen, dass ich Ihnen und auch dem freundlichen Berater, den Sie erwähnten, sehr dankbar bin.« 2 [Hervorhebungen i.O.] Wir wissen nicht, ob und wenn ja, welche Schritte Ulrich Föhse zur Rehabilitierung Heinrich Singers unternahm. Der Fall war juristisch kompliziert, da die Anzeige gegen Heinrich Singer schon 1932 erfolgte und die Angaben Hans Wolfgang Singers zum Teil nicht korrekt waren. Dies war ein Ausdruck dafür, wie traumatisie- rend für ihn das Schicksal seines Vaters war und wie dessen nicht erfolgte Rehabilitierung bei ihm nachwirkte. Unsere Recherchen bestätigen seine Einschätzung, »dass das Klima des Prozesses (…) einen normalen Prozess unmöglich und das Fehlurteil unvermeid- lich« machten, und dass es sich »um »einen Akt politischer Verfol- gung« handelte. Das Ziel unserer Arbeit ist die »politische und moralische« und auch die juristische Rehabilitierung von Heinrich Singer. Leider sind die Akten des Verfahrens gegen Singer beim Landgericht Wupper- tal nicht mehr vorhanden. Da es sich um einen Prozess öffentlichen Interesses handelte, hätten die Akten dem Landesarchiv Nordrhein- Westfalen übergeben werden müssen, was nicht geschah. Einige Auszüge aus den Prozessakten sind in den Wiedergutmachungsver- fahren im Landesarchiv sowie im Nachlass des Psychologen Karl Marbe, der als Gutachter der Verteidigung an dem Verfahren beteiligt war, im Zentrum für Geschichte der Psychologie der Universität Würzburg vorhanden. Eine sehr wichtige Quelle zur Person Heinrich Singers sind die Briefe, die er aus der Haftanstalt Wuppertal Bendahl und dem Zuchthaus Münster schrieb, die uns von der Schwieger- tochter Hans Singers Odile Stamberger zur Verfügung gestellt wurden. Die Briefe wurden der Begegnungsstätte Alte Synagoge in Wuppertal von Odile Stamberger übergeben. Ihr und ihrer Tochter Lucia Singer verdanken wir auch ein Bild Heinrich Singers als Soldat im Ersten Weltkrieg. Im ersten Kapitel skizzieren wir die Biografie von Heinrich Singers. Im zweiten Kapitel analysieren wir den Prozess gegen Singer und das Revisionsverfahren vor dem Reichsgericht in Leipzig. Im dritten Kapitel wird das Wiedergutmachungsverfahren nach 1945 darge- stellt. Abschließend gehen wir auf die Erinnerung an Heinrich Singer nach 1945 in Wuppertal ein und auch auf die vergeblichen Bemühun- gen Hans Wolfgang Singers um eine Rehabilitation seines Vaters.
Autor: Nelles, Dieter Prietzel -Düwel, Peter-Paul
ISBN: 9783943643237
Auflage: 1
Sprache: Deutsch
Seitenzahl: 54
Produktart: Geheftet
Verlag: de Noantri
Veröffentlicht: 20.07.2024
Untertitel: Der Fall des jüdischen Arztes Dr. Heinrich Singer aus Wuppertal
Schlagworte: NS-Justiz Nationalsozialismus Wuppertal

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