Heimische Exoten
22 Geschichten von Tieren, die zu uns kamen. Meine Reise durch unsere neue Tierwelt
Sie tauchen in Parks und in den Städten auf, bevölkern mehr oder weniger plötzlich Teiche und Wälder – Tiere, die aus Zufall, Nachlässigkeit oder mit guten Absichten in unseren Breiten in die freie Wildbahn gelangen und heimisch werden, eingewandert oder ausgesetzt. Rund 1000 Spezies bereichern oder beeinträchtigen nach Expertenmeinung mittlerweile unsere mitteleuropäische Flora und Fauna. Mareike Milde hat sich nach 22 von ihnen auf die Suche begeben, hat ihre neuen Habitate besucht und sich von Experten vor Ort alles Wissenswerte zeigen und erzählen lassen. Ihre in jahrelanger Recherche entstandenen, äußerst lesenswerten Reportagen sind eine ebenso spannende wie anschauliche Erkundungsreise auf der Fährte von Waschbär, Sittich, Nilgans & Co. und ein Plädoyer für einen gelassenen und zugewandten Umgang mit ihnen.
#In Berlin wird Wohnraum nicht nur über Wasser knapp: Der Rote Amerikanische Sumpfkrebs "Nein, keine weitere invasive Krebsart," winke ich ab, als ich mit dem Verlag über die Tierarten spreche, die ich noch besuchen werde. Der Rote Amerikanische Sumpfkrebs ist sicherlich der Bekannteste aller eingewanderten Krebse in Mitteleuropa, und gerade im Berliner Raum, vor allem im Tiergarten, hat er sich niedergelassen und ausgebreitet. Und fast genauso schnell, wie er sich dort vermehrt hat, wurde er auch bekannt. Radiosender berichteten über ihn, er bekam eigene Beiträge in den Vorabendnachrichten und in- und ausländischen Zeitungen, ein südkoreanischer Reporter machte sich kundig. Ich meine, es sei alles gesagt, alles geschrieben, ich würde da nichts Neues zu beitragen können, außerdem habe der Besuch bei den Kalikokrebsen meinen Bedarf an übergriffigen Krebsarten gedeckt. Der Verleger gibt nicht auf: "In Berlin versucht man der Lage Herr zu werden, indem man die Tiere als sogenannter ‚Berliner Hummer‘ in Restaurants anbietet. Das Krebsfleisch soll herrlich aromatisch sein, geschmacklich in Richtung Languste!" Überredet. Ich beschließe, auf dem Weg zu den verschwundenen Bennettkängurus einen Halt in Berlin-Spandau einzuplanen. Dass eingewanderte Krebsarten immer wieder für Überraschungen im Alltag sorgen können, war mir bereits bekannt. So waren mir Zeitungsberichte von 2014 noch gut in Erinnerung geblieben, nache denen drei Dutzend Amerikanische Sumpfkrebse nachts in das Rebstock-Bad in Frankfurt eindrangen, um morgens, signalrot leuchtend vom Beckengrund eines Schwimmbeckens, ein kleines Mädchen bei Ihren Schwimmübungen zu erschrecken. Oder eben die Massenwanderung Hunderter Krebse im Sommer 2017 durch den Berliner Tiergarten zum Neuen See, als einige Krebse auf der Suche nach neuen Wassern zur Verwunderung der Anwohner über das heiße Kopfsteinpflaster taperten. Was für manche eine unterhaltsame Attraktion war, hat einen ernsten Hintergrund: Wird es den Krebsen zu eng in den Gewässern, machen sie sich auf, um neue Wohnorte zu finden. Und das kann ernste Folgen haben. Erobern sie ein neues Gewässer, besteht die Gefahr, dass innerhalb kurzer Zeit die dort ansässigen einheimischen Tierarten vertrieben werden oder verhungern, weil Ihnen die Nahrungsgrundlage entzogen wird. Dass die Krebse allerdings munter durch Einkaufsstraßen und in Cafés spazierten, war doch mehr ein Zeitungsaufmacher als Realität, erzählt mir der Wildtierexperte Berlins, Dirk Ehlert, lachend per Telefon.
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