
HauptAutor Jürg Meyer: Wie Berge entstehen und vergehen
Die Berge – diese unbedeutenden Steinbrocken mit ihren läppischen Jahrmilliönchen in unserer Galaxie unter Galaxien!
(Markus Rottmann, «Wovon wir reden, wenn wir von Bergen reden», in «Bibliothek der besonderen Bergliteratur», 2020)
Doch wie sind denn nun unsere Berge entstanden? Viele Geolog*innen und Lehrpersonen tun sich schwer mit der Vermittlung dieses für die Schweiz als Alpenland eigentlich so wichtigen Themas (Harry Keel, IG Tektonikarena Sardona, 2021).
«Wie Berge entstehen und vergehen» berichtet in 30 pointierten, gut verständlichen Essays über grundlegende Konzepte sowie neueste und erstaunliche Erkenntnisse zur geologischen Alpenbildung. Der Autor und Geologe Jürg Meyer schafft es darin, die Thematik lustvoll, unterhaltsam und gleichzeitig fachlich korrekt zu vermitteln.
Im Interview erzählt er uns neben der Entstehung des Buches mehr über seine Faszination für Gesteine und die Bergwelt und verrät, welche Rolle Humor bei seiner Arbeit spielt.

©Jürg Meyer. Blick vom Segnespass im Weltnaturerbe TAS über die Charenstock-Kette zum Glärnisch-Massiv. Unterhalb des Charenstocks verläuft die weltberühmte Glarner Hauptüberschiebung, am Glärnisch erkennt man die Sedimentgesteinsschichten der Axen-Decke.
Woher kommt Ihre Faszination für die Welt der Berge und Gesteine?
Das geht auf meine Jugendzeit zurück. Hinter unserem Haus am Dornachberg bot eine längere Kalkstein – Felswand ein fantastisches Spielgelände, wo ich früh lernte, mich im Kraxelgelände sicher zu bewegen (Zum Glück sahen die Eltern nicht alles…). Mein Vater unternahm schon einige Hochtouren mit mir, und als ich dann mit 14 Jahren in die Jugendorganisation des SAC eintrat, ging förmlich die Post ab – ich entwickelte mich rasch zu einem gewandten Kletterer und Bergsteiger, und mit 20 Jahren übernahm ich auch Leiterfunktionen – woraus als logische Folge ich dann die Ausbildung zum Bergführer machte.
Ebenfalls im Jugendlichenalter begann ich mich für Mineralien und Gesteine zu interessieren. Etliche Jahre lang half ich bei einem Mineralienhändler aus. So war nach der Matura die Studienwahl ziemlich einfach….

©Jürg Meyer. Steinkreis aus Gesteinen des Gasterntals (BE).
Sie haben in unserem Verlag ja bereits Bücher zur Gesteinsbestimmung veröffentlicht.
Wie kam die Idee für dieses Werk zustande?
Bei meinen zahlreichen Ausbildungskursen und Exkursionen für Amateure stellte ich immer wieder fest, dass sich in Bezug zur Alpenbildung alte und überholte Vorstellungen sehr zäh halten, und dass gleichzeitig viele der neuen Forschungsergebnisse der letzten 20-30 Jahre noch kaum bei den Nicht-Geolog*innen angekommen sind. Viele dieser neuen Erkenntnisse haben unsere Vorstellung von der geologischen Bildung der Alpen stark vertieft, verändert und sie sind oft ziemlich spektakulär.
An wen richtet sich das Buch «Wie Berge entstehen und vergehen»?
An alle Menschen, die gerne in die Berge gehen und dabei ein offenes Auge für die Natur haben, die gerne Fragen, die an einer Horizonterweiterung interessiert sind. Ganz speziell richtet sich das Buch an Multiplikatoren wie Oberstufen-/Gymnasial – Lehrkräfte, Wander-, Berg- und Parkführer*innen und Wissenschaftsjournalist*innen, und durchaus auch an Studierende der Geographie und Geologie im Grundstudium.
Das Buch besteht aus insgesamt 5 Essayteilen zur geologischen Alpenbildung. Welches ist Ihr persönlicher Lieblingsessay dieser Sammlung?
Ui, das ist für mich schwierig zu entscheiden – es ist ja etwa wie die Frage an den Vater einer kinderreichen Familie nach seinem Lieblingskind. Sicher gehört dazu der Essay «Die Alpenfaltung gibt es nicht», weil mit diesem die ganze Geschichte angefangen hat, und weil dieser Ausspruch sich unterdessen zu einer Art geflügeltem Wort in meinen Gästekreisen gemausert hat. Dann finde ich auch die Essays «Mount Everest in den Alpen?» und «Die Alpen wurden nicht aufgetürmt, sondern abgetürmt» ziemlich cool – aber natürlich, und hoffentlich, mag ich alle Essays zusammen!
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass das Bild vom zusammengeschobenen Stapel Tücher falsch und überholt ist. Wenn Sie nun eine neue Metapher für die Entstehung der Alpen erfinden müssten, wie sähe diese aus?
Leider, leider ist mir bisher noch kein gleich einfaches, einprägsames und logisch erscheinendes, aber falsches Bild wie das mit den zusammengeschobenen Tüchern in den Sinn gekommen. Die Bilder vom Bulldozer, welcher Asphaltplatten übereinander schiebt, oder vom Hobel, der Späne abhobelt, oder von den beiden halben Jasskartenstapeln, die zusammengeschoben werden, illustrieren zwar leidlich gut die Bildung der alpinen Gesteinsdecken, doch fehlt dabei, dass dies in vielen Kilometern Tiefe stattfand und die ganze Knautsch- und Verkeilungszone erst danach angehoben wurde. Am besten funktioniert es mit der Handgestik, wie ich sie im Essay 11 «Die Alpen wurden nicht aufgetürmt, sondern abgetürmt» beschreibe.

©Dennis Metz (www.schnabulak.de). «Die Alpenfaltung gibt es nicht»
Sind Sie allgemein ein humorvoller Mensch, oder setzen Sie Ihren Humor bei der Wissensvermittlung – und auch in Ihrem Buch – strategisch ein?
Für mich persönlich habe ich den Anspruch: Ein Kurs oder eine Exkursion ohne ein paar Lacher oder Schmunzler ist nix wert. Denn solche Momente bleiben oft besser haften und helfen die sachliche Aussage dahinter zu memorisieren, und sie entspannen die Lernatmosphäre. Diesem Grundsatz versuchte ich auch im neuen Buch gerecht zu werden – nicht zuletzt auch durch die coolen Cartoons von Denis Metz am Beginn jedes Essays.
Gibt es ein besonderes Erlebnis in Bezug auf Ihre geologische Arbeit, welches Sie hier mit uns teilen möchten?
Unvergesslich bleiben die Tage, an denen ich mit dem älteren Kollegen Prof. Kurt Bucher am Matterhorn unterwegs war. Er war gerade daran, das wunderbare Blatt „Matterhorn“ für den geologischen Atlas 1:25‘000 zu kartieren. Dazu wollte er natürlich auch die Grate des Berges geologisch aufnehmen. Für den wilden Furggrat (NE-Grat) im Auf- und den Hörnligrat im Abstieg begleitete ich ihn als Bergführer und zweites geologisches Augenpaar. Das herbstliche Wetter war klar, aber kalt und bisig. Die Erkletterung der senkrechten bis überhängenden Gipfelpartie des Furggrates, schon mit etlichen Steinen im Rucksack, verlangte mir allen Mut ab, und das nachfolgende Biwak auf dem Gipfel, eingeklemmt in einer kleinen Felsspalte und bei eiskalter Bise ließ uns kaum ein Auge zumachen. Man muss schon angefressener Geologe sein, um sich sowas anzutun….
Was möchten Sie den Leserinnen und Lesern da draußen in Bezug auf die geologische Alpenwelt mit auf den Weg geben?
Packen Sie auf Ihren Bergwanderungen neben der „Brille“ für Alpenpflanzen, für die Tiere, für die Gletscher und Gewässer auch eine für den geologischen Bau in ihren „mentalen Rucksack“ ein. Achten Sie beim Betrachten der Landschaft auf die Farben der Wände und Flanken, auf die Strukturen und Muster, auf die Gesteine am Wegrand – und stellen Sie sich Fragen dazu. So wird Ihr Interesse an der Geologie der Alpen automatisch geweckt und kann sich langsam entwickeln. Und: Die tektonische Übersichtskarte – sozusagen der Bauplan der Alpen – sollte entweder in Papierform im Rucksack oder als App auf dem Smartphone dabei sein – so können Sie Ihren Blick in die Landschaft schärfen und erste Antworten erhalten. Es ist ein spannendes Detektivspiel…

©Jürg Meyer. Frühmorgendlicher Aufbruch auf dem Hüfifirn (UR).
Zum Schluss: Wo befindet sich Ihr Lieblingsplatz in der Bergwelt?
Gleich wie bei der Frage nach dem Lieblingskapitel – es kommt drauf an: auf die Jahreszeit, das Wetter, die Umstände, die Begleitung, den Kontext. Wenn ich rasch eine kleine virtuelle Alpenreise vor meinem inneren Auge ablaufen lasse, bleibt gerade das Bergggasthaus Waldhaus im vorderen Gasterntal hängen, gegen Ende Juni, mit Blick auf die gewaltigen Gesteinsfalten an den Jegertossen, an die spektakulären Geltenbach-Fälle, die mitten aus der Felswand tosen, auf die schulbuchmässige Form des U-Tals, auf die wunderschöne alpine Schwemmebene mit seinen Frauenschuh-Beständen, auf die unterschiedlichen Wände aus Hochgebirgskalk im Vordergrund aus Gneisen des Aarmassivs im Hintergrund. Auch das kühle Panaché vom freundlichen Wirtepaar trägt dazu bei…
Jürg Meyer, Dr. phil. nat., ist Geologe und eidg. dipl. Bergführer, selbständiger Berater, Ausbildner und Texter in den Bereichen Berge/Geologie/Umwelt (www.rundumberge.ch).