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Die Geschichte der Anatomie: ausgewählte Erkenntnisse und Entdeckungen

Das neue Buch «Die Geschichte der Anatomie» von Geschichts- und Wissenschaftsautor Colin Salter ist erst seit Kürze auf dem Markt. Darin wird die Anatomie als wichtiger Teil der Erkenntnisgeschichte anhand von über 150 Büchern aus der ganzen Welt nachgezeichnet. Von … Weiterlesen →

Das neue Buch «Die Geschichte der Anatomie» von Geschichts- und Wissenschaftsautor Colin Salter ist erst seit Kürze auf dem Markt. Darin wird die Anatomie als wichtiger Teil der Erkenntnisgeschichte anhand von über 150 Büchern aus der ganzen Welt nachgezeichnet. Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert haben wir Ihnen aus den insgesamt sechs chronologisch aufgebauten Kapiteln je eine Thematik herausgesucht und nachfolgend aufgeführt.

Wir wünschen viel Vergnügen beim Eintauchen in die faszinierende Geschichte der Anatomie!


ANATOMIE SEIT DER ANTIKE (3000 v. u. Z. bis 1300 u. Z.)
Die griechische Antike und die Herkunft der Temperamentstypen

Alkmaion von Kroton (um 510 v. u. Z.), der ein Schüler des Pythagoras gewesen sein könnte, war wahrscheinlich einer der ersten, der Tiersektionen vornahm, um Erkenntnisse über die menschliche Anatomie zu gewinnen. Über sein Leben ist nur wenig bekannt, aber man schreibt ihm die Entdeckung der Sehnerven und der Eustachischen Röhre, eines Teils des Mittelohrs, zu. Er beschäftigte sich eingehend mit den Sinnesorganen und kam zu dem Schluss, dass diese mit dem Gehirn verbunden sind, das er als Sitz des Denkens und der Seele ansah. Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung wurde jahrhundertelang von denjenigen angefochten, die das Herz als Zentrum des Lebens ansahen, aber Alkmaion hatte natürlich recht.

Es heißt auch, Alkmaion sei der Erste gewesen, der einen menschlichen Leichnam sezierte. Von ihm soll auch die erste anatomische Abhandlung stammen, Peri physeōs («Über die Natur»). Er wird sogar als Autor des ersten Buches mit Tierfabeln genannt, noch vor Äsop, obwohl sein spartanischer Zeitgenosse Alkman der wahrscheinlichere Kandidat zu sein scheint. Alkman wird gelegentlich auch die Behauptung zugeschrieben, dass «Erfahrung der Anfang des Lernens ist», aber der Satz passt vielleicht besser zu Alkmaions überliefertem Vertrauen in empirische anatomische Beweise. Die Notwendigkeit, sich selbst ein Bild zu machen und nur den Beweisen der eigenen Augen zu vertrauen, ist ein Grundsatz, von dem man sagen könnte, dass er jeden Fortschritt in der Anatomie im Laufe der Geschichte untermauert. Umgekehrt hat das Vertrauen in althergebrachte, unhinterfragt übernommene Ansichten die Wissenschaft oft gebremst. Alkmaion war der Erste, der das Konzept der Körpersäfte vorschlug, die durch unsere Adern fließen und die im Gleichgewicht sein müssen, um eine gute Gesundheit zu erhalten. Das Wort «Humor» stammt vom griechischen Wort für Saft ab. Er hatte natürlich unrecht, aber die Humoraltheorie, auch Viersäftelehre genannt, die mit der Erde-Luft- Feuer-Wasser-Denkschule übereinstimmte, blieb rund 2000 Jahre lang vorherrschend.
Alkmaion vertrat eine breitere Palette von Körpersäften, als spätere medizinische Theorien vorsahen. Die heute bekanntesten sind: Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle. Ein Übermaß an einem dieser Körpersäfte wurde für Veränderungen in Gesundheit und Stimmung verantwortlich gemacht: Man konnte sanguinisch (mit zu viel Blut, Eigenschaften: Lebhaft, heiter), phlegmatisch (durch Schleim, Eigenschaften: Träge, schwerfällig), cholerisch (durch gelbe Galle, Eigenschaften: Aufbrausend, jähzornig) oder melancholisch (vom griechischen Wort für schwarz, Eigenschaften: Schwermütig, trübsinnig) sein. In Alkmaions Worten: «Die Gleichheit der Kräfte (nass, trocken, kalt, heiß, bitter, süß usw.) erhält die Gesundheit, aber die Vorherrschaft einer von ihnen erzeugt Krankheit.» Weder sein  Werk Peri physeōs noch andere Schriften Alkmaions sind erhalten, und über sein Leben sind außer seinem Geburtsort in Süditalien (damals Teil Großgriechenlands) keine Einzelheiten bekannt. Wegen dieser dünnen Kenntnislage wird er in der Geschichte der Anatomie oft übersehen.

«Vier Temperamente» von Fritz Möller, o.l. Sanguiniker, o.r. Phlegmatiker, u.l. Choleriker, u.r. Melancholiker, (Dresden, DE). ©Wikimedia Commons

ANATOMIE IM SPÄTMITTELALTER (1301–1500)
Angebot und Nachfrage

Im Europa des 15. Jahrhunderts führte die Legalisierung der Sektion von Menschen, zunächst in Bologna und bald auch in anderen medizinischen Fakultäten in Norditalien, zu einem unvorhergesehenen Problem. Die Sektionen wurden an den Körpern hingerichteter Gefangener vorgenommen, aber die Todesstrafe wurde in Italien zu dieser Zeit selten verhängt. Es gab nicht genügend Hingerichtete, vor allem nicht zur richtigen Jahreszeit. In einer Welt ohne Kühlung war der Winter die beste Zeit, um Anatomie zu studieren, da die Leichen, die von unerfahrenen Lernenden mühsam seziert wurden, in den kalten Monaten langsamer verwesten. Die Reihenfolge der Sektion wurde weitgehend durch die Geschwindigkeit bestimmt, mit der die verschiedenen Organe des Körpers verwesten. In Ermangelung von Exekutionen waren die Studierenden (die im Rahmen ihrer Ausbildung zur Teilnahme an Sektionen verpflichtet waren) gezwungen, sich ihre eigenen Leichen zu beschaffen. Leichenfledderei (= Leichenplünderung) war zweifellos eine Option, und es gibt einen Bericht über die strafrechtliche Verfolgung von vier Bologneser Studenten, die im Auftrag ihres Tutors eine Leiche ausgruben. Für gesetzestreue Studierende gab es jedoch eine andere Methode. Es ist bekannt, dass eifrige Schüler und ihre Lehrer sich an die Hinterbliebenen kürzlich verstorbener Bürger:innen wandten und anboten, die Kosten für die Beerdigung zu übernehmen und die Reihen der Trauernden zu verstärken, wenn sie im Gegenzug den Leichnam im Unterricht verwenden dürften.

Die Anatomiestunde des Dr. Nicolaes Tulp (1632). Rembrandts Gemälde zeigt den Amsterdamer Stadtanatomen Dr. Tulp. Er seziert die Leiche von Aris Kindt, der wegen bewaffneten Raubüberfalls gehängt worden war. ©Wikimedia Commons (Mauritshuis)

ANATOMIE IN DER RENAISSANCE (1501–1600)
Zwei Erkenntnisse über den weiblichen Körper

Realdo Colombo war ein Verfechter der praktischen Anatomie, einschließlich der Vivisektion (operativer Eingriff am lebenden Organismus) von Tieren, da dies die einzige Möglichkeit sei, die Funktionsweise des Körpers zu erforschen. In seinem Werk De re anatomica libri XV («Fünfzehn Bücher über Anatomie») wählt er einen innovativen Ansatz für sein Thema. Anstatt jedes Organ einzeln zu betrachten und die Nerven und die Blutversorgung separat zu erörtern, schrieb Colombo über jedes Organ und die versorgenden Gefäße, die ja für seine Funktion unerlässlich sind. Diese radikale Sichtweise ermöglichte Colombo die Entdeckung des Lungenkreislaufs!
Zudem gab Colombo der Plazenta ihren Namen und erkannte ihre Funktion richtig. Und obwohl er die Klitoris nicht als Erster entdeckte, war er der Erste, der sie als primär sexuelles Organ identifizierte. Diese Nachricht war für manche Männer der Renaissance ein Schock. Sie befürchteten, wenn Frauen ein Sexualorgan im Sinne eines «Anhängsels» hätten, seien sie anatomisch den Männern gleichgestellt oder hätten – schlimmer noch – das Potenzial, Männer überflüssig zu machen.

Vesalius (1514–1564) wurde in Brüssel geboren und stammte aus einer Medizinerfamilie. Eine Zeit lang studierte Vesalius Galen (≈129-200 n. Chr., einer der bedeutendsten Ärzte des Altertums) in Paris und grub auf dem Cimetiere des Innocents (Friedhof der Unschuldigen) Knochen aus, um mehr Erkenntnisse zu gewinnen.
Galens Lehren waren jahrhundertelang als korrekt anerkannt worden, und dass er seine Beobachtungen auf die Organe und Gefäße von Tieren stützte, war in Vergessenheit geraten. Vesalius entdeckte diese Tatsache wieder und nahm sie zum Anlass, De humani corporis fabrica («Über die Beschaffenheit des menschlichen Körpers in sieben Büchern») zu schreiben. Mit seiner Kritik an Galens überlieferter Weisheit stieß Vesalius auf Widerstand, man warf ihm Respektlosigkeit vor. Er musste seine Kritik abmildern, indem er beispielsweise einräumte, dass Galen zwar recht hatte, aber nicht in Bezug auf den Menschen. Vesalius’ besondere Stärke lag in der Erforschung des Skeletts: Er war der Erste, der das Brustbein, das Kreuzbein sowie das Keilbein und die Schläfenbeine des Schädels korrekt beschrieb. In seinem Buch widerlegte er über 300 Irrtümer Galens, darunter den, dass der menschliche Unterkiefer wie bei anderen Tieren aus zwei Teilen bestehe. Vesalius korrigierte auch den galenischen Glauben, dass Männer weniger Rippen haben als Frauen (weil Gott die erste Frau aus einer Rippe des Mannes schuf ). Dies trübte die Beziehung zwischen der Anatomie und der christlichen Kirche, denn die Geschichte der entnommenen Rippe war von zentraler Bedeutung für den Ursprungsmythos und für die Überzeugung der Kirche, dass Männer den Frauen überlegen seien.

 

DAS ZEITALTER DER MIKROSKOPIE (1601–1700)
Von Läusen und Zellen

Robert Hooke (1635–1703) war ein außergewöhnlicher Universalgelehrter, der auf vielen Gebieten große Fortschritte machte – Wärme, Licht, Paläontologie, Geologie, Schwerkraft, Mathematik und mehr.
Seinen größten Beitrag zur Anatomie leistete er mit dem Mikroskop. Micrographia («Mikrographie») veröffentlichte er 1665, nur ein Jahr nach dem Werk Cerebri anatome («Die Anatomie des Gehirns») seines Mentors Thomas Willis (1621–1675) . Es zeigt zahlreiche Abbildungen der Biologie, die zum ersten Mal durch ein Objektiv betrachtet wurden, und enthält die ersten detaillierten Ansichten winziger Insekten auf ausklappbaren Seiten, um die Leistungsfähigkeit des Mikroskops zu unterstreichen. Die von Jan Swammerdam (1637–1680, ein Pionier auf dem Gebiet der mikroskopischen Anatomie) geliebte Laus beispielsweise entfaltet sich in Hookes Buch auf einer Seite, die viermal so groß ist wie der Einband des Buches. Bei seinen Studien über Pflanzen beobachtet Hooke die winzigen Kompartimente, aus denen sie zusammengesetzt sind, und nennt sie «Zellen» – die erste Verwendung des Wortes in diesem Zusammenhang. Micrographia enthält das allererste Bild eines Mikroorganismus, eines Mikropilzes der Gattung Mucor. Als Hooke bei der Betrachtung von versteinertem Holz dieselben Strukturen sah, schloss er eher auf einen organischen Ursprung als auf die fantasievolleren Erklärungen für Fossilien, die gewöhnlich angeboten wurden. Viele Darstellungen werden in kreisförmigen Rahmen präsentiert, sodass man das Gefühl hat, durch ein Mikroskop auf die Objekte zu schauen. Micrographia enthält auch mikroskopische Ansichten von Haushaltsgegenständen wie Stecknadeln und Rasierklingen, und das ganze Buch hätte als publikumsträchtige Sensationsschrift durchgehen können, wenn es nicht von der Royal Society veröffentlicht worden wäre. So jedoch war die Veröffentlichung nicht nur für Hooke, sondern auch für das wissenschaftliche Renommee der Gesellschaft förderlich.

Das Mikroskop, mit dem Robert Hooke die Micrographia vorbereitete, wurde von dem Londoner Instrumentenbauer Christopher White gebaut. Es ist ein wahrer Schatz der Wissenschaftsgeschichte, der bis heute erhalten geblieben ist und im National Museum of Health and Medicine der Vereinigten Staaten in Maryland ausgestellt wird.

Illustration eines Flohs unter dem Mikroskop aus dem Werk «Micrographia» von Robert Hooke. ©Wellcome Library Collection, L0043504, http://catalogue.wellcomelibrary.org/record=b1088334

DAS ZEITALTER DER AUFKLÄRUNG (1701–1800)
Die Barbier-Chirurgen

Nach den bahnbrechenden Entdeckungen des 16. und 17. Jahrhunderts drohte die Anatomie im 18. Jahrhundert zu einer Allerweltsbetätigung zu verkommen. In Großbritannien kam es zu einem raschen, aber ungeregelten Anstieg der Gründung von Anatomieschulen, und das allgemeine Interesse an öffentlichen Sektionen nahm zu. All dies trug wieder einmal zu einem chronischen Mangel an Leichen bei, ein Problem, das auf legale und illegale Weise gelöst wurde.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die Anatomie in England von der Gesellschaft der Barbier-Chirurgen (Company of Barber-Surgeons) beherrscht und war, wie die Medizin generell, immer noch eine Männerdomäne. Die erste Verbindung zwischen Barbieren und Chirurgen entstand auf dem Schlachtfeld: Barbiere, die über scharfe Rasiermesser und ein gewisses Maß an Hand-Augen-Koordination verfügten, waren hier ebenso häufig mit der Amputation von Gliedmaßen wie mit dem Schneiden von Haaren beschäftigt. Die Ärzte mit ihrer akademischen medizinischen Ausbildung fühlten sich den Barbier-Chirurgen überlegen, die (außer in Italien) lediglich eine Art Handwerkslehre durchliefen. Um ihre Fähigkeiten im Umgang mit dem Messer zu verbessern, lernten die Chirurgen, Haare zu schneiden und Gesichter zu rasieren, bevor sie in Anatomie unterrichtet wurden. Die meisten studierten Ärzte distanzierten sich von der Chirurgie – nicht zuletzt, weil die Überlebensraten bei Operationen sehr niedrig waren. Traditionell konnten Ärzte den Titel «Doktor» führen, Chirurgen jedoch nicht. Das Können der Barbier-Chirurgen steigerte sich jedoch. Einerseits verfügten sie über bessere anatomische Kenntnisse, andererseits waren sie mit neuen Kriegsverletzungen konfrontiert: Wunden wurden nicht mehr nur durch Klingen oder Pfeilen verursacht, sondern durch die stumpfe Gewalt von Musketen- und Kanonenkugeln. Den größten Teil ihrer Erfahrungen sammelten Chirurgen – Lehrlinge wie erfahrene Praktiker – in Kriegen.
Die «Company of Barber-Surgeons», die das Monopol für Sektionen besaß, durfte zu Beginn des 18. Jahrhunderts zehn Sektionen pro Jahr vornehmen. Hundert Jahre zuvor waren es nur vier gewesen.

 

GROSSE ERFINDUNGEN (1801–1900)
Die Anfänge der Anästhesie

In Japan waren die europäischen Ansätze der Anatomie erst spät bekannt geworden, doch das Land holte auf und überholte den Westen in einigen Fällen sogar. Seishū Hanaoka (1760–1835) war der beste japanische Chirurg seiner Zeit. Er wurde in Kyōto geboren und erhielt eine Ausbildung in traditioneller Kräuterheilkunde. Anatomie studierte er durch rangaku, wie der Kontakt mit westlichem Wissen genannt wurde (wörtlich: holländische Studien), denn Japan war ursprünglich durch den Handel mit Holland mit europäischen Ideen in Berührung gekommen.
Hanaoka war fasziniert von der Arbeit eines chinesischen Chirurgen aus dem 2. Jahrhundert. Hua Tuo (etwa 145–220 u. Z.) soll Operationen mit einem Mittel namens «mafeisan» durchgeführt haben, das seine Patient:innen bewusstlos machte, die Muskeln lähmte und so die Schnitte erleichterte. Hua Tuo nahm sein Rezept mit ins Grab und verbrannte seine Manuskripte kurz vor seinem Tod. Medizinhistoriker:innen gehen jedoch davon aus, dass es Liebstöckel, Mandragora, Stechapfel und verschiedene Arten von Engelwurz und Eisenhut enthielt. Hanaoka setzte sein Wissen über Heilpflanzen ein, um die Rezeptur nachzubilden. Er brauchte dafür fast 20 Jahre, und seine Frau verlor nach einer Versuchsanwendung ihr Augenlicht. Im Jahr 1804 führte er jedoch eine Mastektomie an einer sechzigjährigen Krebspatientin durch, die zuvor eine Medizin getrunken hatte, die er tsūsensan nannte. Seine Wirkstoffe waren, wie die moderne Analyse zeigt, Scopolamin, Hyoscyamin, Atropin, Aconitin und Angelicotoxin. Die Wirkung trat etwa vier Stunden nach der Einnahme ein, und Patient:innen blieben bis zu vierundzwanzig Stunden lang bewusstlos. Dies war die erste dokumentierte Operation unter Narkose der Neuzeit, mehr als 40 Jahre vor der ersten vergleichbaren Pionierleistung im Westen. In Japan war es damals kaum üblich, Bücher zu veröffentlichen. Stattdessen verfassten Autoren Manuskripte, die von Studierenden und der interessierten Leserschaft kopiert werden konnten. Hanaoka schrieb sehr viel. 1805 beschrieb er die Verfahren, die er bei dieser ersten Mastektomie anwandte, in einer Abhandlung mit dem Titel Nyuigan chiken-roku («Erkenntnisse über Brustkrebs»).

Zu Hanaokas Lebzeiten strömten die Patient:innen in Scharen zu ihm, und sein Haus in Kinokawa ist noch heute als Schrein zu seinem Gedenken erhalten. Er lebte jedoch zu einer Zeit, in der sich Japan gegenüber der restlichen Welt verschloss, sodass er kaum über die Grenzen hinaus bekannt war. Als sich Japan 1854, fast 20 Jahre nach seinem Tod, öffnete, waren im Westen bereits andere Anästhesieverfahren erfunden worden.

Gemälde von Seishū Hanaoka. ©Wikimedia Commons

Text: adaptiert und gekürzt aus «Die Geschichte der Anatomie»


Colin Salter ist ein erfolgreicher Geschichts- und Wissenschaftsautor sowie ausgesprochener Buchliebhaber aus Edinburgh. Unter anderem veröffentlichte er die Trilogie «Science is Beautiful», «The Moon Landings» oder «Everything You Wanted to Know about Inventions». «Die Geschichte der Anatomie» ist das erste Buch des Autors, das in deutscher Fassung vorliegt.

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